Marken Italien

Dolce vong vita her

17. Mai 2017 von in

Nur raus aus dem Flugzeug. Ja, schubst euch nur alle raus hier. Und dann lasst mich in Ruhe. Weil wir sind hier in Italia, da gibt es keinen Stress. Da gibt es nur dolce vong vita her und Mortadella und Ciao Bella. Und Sonne, hui. So viel Sonne hatte ich schon seit den frühen Zweitausendern nicht mehr gesehen, als noch RnB Videos auf MTV liefen. Das war richtig frech, so viel Sonne war das, aber ich hatte es mir verdient. Vor ein paar Stunden stand ich noch bei mir im nasskalten Treppenhaus und mein Nachbar von oben fragte, wohin ich denn jetzt schon wieder unterwegs sei, und ich sagte Italien, in die Marken, und er fragte was ich dort machen würde und ich antwortete, naja, hauptsächlich gourmieren, degustieren, vielleicht Espresso in alten Altstädten trinken. Dann drehte ich den Schlüssel im Schloss und beide verließen wir das Haus. Von weitem hörte ich nur noch ein Also Berufe können die Leute haben… 

Fast wäre ich am Flughafen Ancona hängen geblieben, weil der Shuttle Fahrer steif und fest behauptet hatte, ich wäre nicht der Passagier, auf den er noch wartete. No no no no. Finger wackelte. Zunge schnalzte. Wäre kein Problem gewesen, dachte ich, der Flughafen Ancona hat einen Kiosk mit Snacks aller Art, ausreichend Moretti Bier, eine Toilette, und die Check In Leute sind die selben wie die von der Security und vielleicht auch die von der Reinigung. Es ist ein heimeliger Ort mit gutem Kaffee, aber ich wollte dann doch lieber mit ins Hotel und stieg einfach ein. 

Drei Tage in der Region der Marken hieß es, drei Tage mangare und vino und sole. Drei Tage Italien. Das Versprechen von Sonne tat mir gut. Dieses Versprechen nach einer besseren Welt, das mich schon seit meiner Kindheit immer im Frühling nach Italien verführte und dann standen wir immer eine Woche im Wolkenregen am Meer und fuhren wieder nach Hause. Jedes Jahr. Als der Shuttle so über die Straßen brummte, war ich gespannt auf das, was uns in dieser Region, eineinhalb Stunden von Rom entfernt an der Adria, erwarten würde. Irgendwas musste da doch noch sein, so abseits von Rimini und Gardasee, abseits von Ti Amo und billigem Hauswein. 

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Mit mir im Bus saßen Reiseblogger aus ganz Eurasien. Lot aus Belgien, die auf ihrer letzten Pressereise mit deinem Panzer durch einen Polnischen Wald gefahren ist. Da war Dirk, der beruflich Caravans testete und gerne Herrenwitze erzählte, in zwanzig verschiedenen Sprachen. Da waren ein paar Französinnen, die nur Französisch sprachen. Und da war mein Liebling: Alexej, Chef eines Italienischen Radiosenders aus Moskau, ein liebenswürdiger schnauzbärtiger Knuddelsozialist, der jeden Politiker, jeden Ort und jede Weinsorte Italiens kannte, und trotzdem stundenlang unzusammenhängende Dinge erzählen konnte auf einer Sprache, die nur er und der Wein verstanden. Manchmal hing ihm der Bauch vorne aus dem Expeditionshemd, seine Visitenkarte hatte er für alle eingescannt und auf DinA4 ausgedruckt, und zum Abschied schenkte er mir einen kleinen blauen Alien aus Plastik, mit einer Uhr drin und der Sowjetischen Flagge. 

Wir parkten vor dem Hotel. Alessandro watschelte mit seiner Tasche voran und inspizierte mit wohlwollenden Lauten die Architektur des Eingangstors. Ich sprang in Unterhose ins Meer und verlor einen Zeh and die Kälte. Und dann passierte etwas, das die nächsten drei Tage oft passieren sollte. Wir bekamen Dinners vorgesetzt, bei dem die drei Vorspeisen schon in je 5 Vorspeisen unterteilt waren, die drei Hauptspeisen (Fisch zählt nicht) erst kamen, wenn du dir schon geschworen hattest, niemals wieder etwas zu essen, und als endlich die Nachspeisen vor dir lagen, du mit zittrigen Fingern und tränenden Augen zum Löffel greifst. Ab und zu tauchte noch ein Politiker auf und sagte, dass die schöne Gegend, in der du dich grade befindest, schön ist. Aber das hörst du alles gar nicht mehr, weil der Passerina und der Pecorino und der Grappa in deinem Kopf sich schunkelnd in den Armen liegen und Ti Amo singen. Es gibt einen Trick auf Pressereisen. Immer nur die Hälfte essen, hat mir jemand geflüstert. Zu spät. 

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Eigentlich wollte ich am nächsten Morgen erstmal für ein, zwei Wochen nichts mehr essen. Schon saß ich wieder vor einem Gängemenü. Es ist schwierig, alles zu beschreiben, was in diesen drei Tagen passiert ist; ich versuche es mal in einer improvisierten Römischen Elegie: Wir düsten von wunderschöner Altstadt zu wunderschöner Altstadt, wo überall alte Männer auf Parkbanken in der Sonne sitzen, wo jeder zweite so aussieht wie Sorrentino höchstpersönlich und wo irgendwer zwischen sonnenglänzenden Bilderbuchhäusern eine Autobatterie auf dem Boden herumschiebt und ein Hund ein Bein gegen die Kathedrale hebt. Wir düsten weiter zu römischen Wasserspeichern, Open Air Opern (Opern Air?!) in alten römischen Baseball-Stadien, zu versteckten und wunderschönen Theatern, zu Grotten am Meer und Sonnenuntergängen im Sand, wir fuhren auf Berge, zu einem kleinen Dorf, unter dem im Berg der Sage nach eine riesige goldene Schlange lebt, die Erdbeben verursacht, wenn sie sich bewegt.

Wir düsten von pompösen Kaffeehäusern zur Weinverkostung und von einem versteckten Wunderland-Restaurant zum nächsten mit Aussicht auf der Sonnenterrasse. Wir bekamen die gesamte Geschichte der Gegend erzählt, die ich euch hier ersparen möchte, nur soviel: Die Römer waren hier, sie haben in verschiedenen Jahren verschiedene Dinge gebaut, meistens aus regionalen Ressourcen (think regional!) und verschiedene Kriege geführt mit verschiedenen Parteien, die eher ungern besetzt werden wollten. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich geschlafen hatte in der Zeit. Ich weiß nur noch, dass alles um uns herum grün war und die Weinberge toll aussahen und man von jedem Hügel aus das Gefühl hatte, man steht oben auf der Welt, wie ein Gladiator, und sieht das Meer. 

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Übrigens: Ancona hat zwar nicht viele Flüge am Tag, aber einer davon geht direkt von München und dauert nur eine gute Stunde. Von Berlin bin ich einmal umgestiegen und habe derweil eine Weißwurst gegessen, war auch gut. Falls ihr auch Lust habt auf eine Dosis Italien, das waren meine Highlights: 

Belle Città in der Marken-Region

Ascoli Piceno (Café Meletti & Sorrentino Vibe), Grottamare (hier ist Frangipane), Offida (das mit der Erdbeben-Schlange und toller Aussicht)

Café

Cafe Meletti, eine wirklich schöne Familienvilla mit angeschlossenem Café in Ascoli. Meletti ist der größte Italienische Anisschnaps (Anisetta), also das, was in der Türkei Raki, in Israel Arak, oder in Frankreich Pastisse ist… 

Restaurante

Frangipane. Wahrscheinlich das schönste kleine Restaurant, das ich je gesehen habe. Man sieht kein Eingangsschild, läuft in einer vermeintlichen Hinterhof am Hang, öffnet eine Tür und zack – fühlt sich wie im Wunderland. Tolles Essen, super Wein, aber die Einrichtung und das Ambiente ist der eigentliche Kracher. Eine Mischung zwischen Bilbo Beutlins Haus, dem Wunderland und einem sanft beleuchteten Restaurant aus einem Woody Allen Film – plus Terrasse mit Meerblick. 

Mangare

Olive Ascolane, das sind spiralförmig vom Kern getrennte Oliven, gefüllt mit einem mit Wein verfeinerten Fleischgemüsemix und Parmesan, die dann wie kleine runde Schnitzel paniert und deep fried gegessen werden. Ist eine Familiensache in dieser Gegend und wahrscheinlich die komplexeste Olive, die ich kenne. Mit Antipasti kann man hier überhaupt nichts falsch machen, einfach irgendwas bestellen. Auch lecker ist Fritto Misto, also ein Mix aus Meeresfrüchten, paniert und frittiert – frisch aus dem Meer. Als Nachspeise (oder auch süße Vorspeise) unbedingt irgendwo Cremini bestellen, das sind kleine frittierte viereckige Awesomenessen. Irgendwie frittieren die Leute hier alles, aber Recht haben sie (gibt sogar ein Festival dafür!). 

Vino

Passerina ist ein großartiger Weißwein und Pecorino auch (Achtung, Pecorino ist auch Käse). Werden beide nur in der Gegend gemacht. Vom Rosso war ich nicht so begeistert. 

Photocredits: Matylda Rosłaniec photos (Foto 1, 6), Lot Wildiers (8,15), Tourismus Marche (4), Nils Ketterer (Rest)

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2 Antworten zu “Dolce vong vita her”

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